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Warum ich ...ismen skeptisch gegenüber stehe

Autor Veit Lindau
Datum 21 Jul 2018
Veit Lindau: Warum ich ...ismen skeptisch gegenüberstehe

"Ich bin Feministin."Ich bin Realist." "Du bist ein Pessimist." "Du bist eine Rassistin." Wie oft benutzen wir solche Statements, um uns selbst vorzustellen oder andere einzuordnen?

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WARUM ICH …ISMEN SKEPTISCH GEGENÜBER STEHE

„Ich bin Feministin.“
„Ich bin Realist.“
„Du bist ein Pessimist.“
„Du bist eine Rassistin.“
Wie oft benutzen wir solche Statements, um uns selbst vorzustellen oder andere einzuordnen?
 
Ich verstehe das Bedürfnis des menschlichen Geistes angesichts der Komplexität und Nichtgreifbarkeit einer absoluten Wahrheit Konzepte, Richtwerte und Paradigmen für eine Orientierung in diesem Universum aufzustellen.
Ich verstehe, dass ein Teil in uns danach strebt, Sicherheit herzustellen, in dem wir uns und andere eintakten.
 
Doch …ismen reichen maximal als Einstieg in einen Dialog, nicht für eine wirkliche Verbindung zweier Menschen.
Die Aussage „Ich bin Feministin.“ signalisiert unserem Gegenüber, was wir denken, woran wir glauben. Woran wir wirklich glauben und was wir wirklich meinen, können wir herausfinden, wenn wir uns wirklich offen zuhören, bereit sind, uns selbst in Frage stellen zu lassen und vor allem immer wieder unsere tieferliegende Motivation erforschen.
 
So stellen zwei Feministinn*en im aufmerksamen Dialog vielleicht heraus, dass sie überhaupt nicht in einem Boot sitzen. Denn die eine möchte, aus einer tiefliegenden Wunde heraus, immer noch unbewusst oder sogar bewusst Rache nehmen, während die oder der andere aufrichtig einen Beitrag für die Emanzipation und Befreiung beider Geschlechter leisten möchte.
 
Vielleicht ist so mancher Realist, der als Pessimist beschimpft wird, optimistischer als einer, der sich krampfhaft versucht einzureden, dass alles gut ist und dabei die Scheiße einfach nur unter den Tisch kehrt.
 
Nur weil sich drei Menschen auf einer Friedens-Demo treffen, wollen sie noch lange nicht dasselbe. Treibt sie nicht die gleiche Kraft an. Der eine sucht ernsthaft eine Lösung für Frieden. Der nächste will mal wieder einem von den „anderen“ auf die Fresse hauen und der dritte hat sein Leben nicht im Griff und lenkt sich so von seinen Baustellen ab. Ich weiß, dass ist jetzt sehr klischeehaft-vereinfacht, aber ich hoffe, du kriegst den Punkt.
 
Worauf ich hinaus will: Für unser Gehirn ist es immer energiesparender, in …ismen zu denken, als in die wahre, authentische Begegnung mit sich selbst und dem anderen zu gehen.
 
Aus …ismen auszubrechen braucht Mut und Reife. Denn du musst bereit sein zu akzeptieren, dass du niemals alles weißt… und dass es keine einfache Formel zur Meisterung des Lebens gibt. Es will jeden Tag frisch betrachtet und neu verhandelt werden. Es braucht auch die Bereitschaft, sich der Frage zu stellen: „Warum halte ich an einem bestimmten …ismus so obsessiv fest? Was bringt er mir? Und was würde es mich kosten, ihn in Frage zu stellen?
 
…ismen beschreiben meist Vergangenheiten. Wir können ohne Zweifel viel aus der Geschichte lernen.
Aber …ismen werden die Probleme der Menschheit nicht lösen. Sie können sie vielleicht beschreiben, aber für die Lösung brauchen wir Geister, die den Mut haben, jede …ismus-Box in Frage zu stellen und sich auf das zu konzentrieren, was sie selbst und wahrscheinlich die meisten Menschen wollen… glücklich sein.
 
Dann stellen wir vielleicht erstaunt fest, dass wir mit einem Menschen aus einem (scheinbar) anderem …ismus-Lager tatsächlich gemeinsame Werte und Bedürfnisse teilen.
 
Wann hast du dich das letzte Mal mit einem (scheinbar) Andersdenkenden unterhalten und ihm das Recht zu gesprochen, die Welt anders zu sehen als du?