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SeelenGevögelt. Wenn dich das Leben voll nimmt

Autor Veit Lindau
Datum 14 Nov 2019
Kategorie Love Offen Purpose
Seelengevögelt Veit Lindau

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Eine der mit Abstand am häufigsten gestellten Interview Fragen in den letzten acht Jahren lautete: „Warum seelengevögelt? Hättest du nicht einen netteren Titel wählen können?“

Der Witz ist, dass das Wort gar nicht von mir kommt. Seelengevögelt ist eine der vielen magischen Wortschöpfungen meiner Frau. In der Tat verdanke ich ihr nicht nur das Wort, sondern sie ist auch meine wichtigste Lehrerin in seiner gelebten Bedeutung.

Wenn du in deinem innersten Mark vom Leben berührt, genommen, durchdrungen wirst, dann bist du seelengevögelt. So einfach.

In meiner Arbeit begegne ich vielen sehr unterschiedlichen Menschen ehrlich und direkt. Sie schenken mir einen Blick in ihre Abgründe und auf ihr strahlendes Licht. Sie teilen mit mir, was sie in der Tiefe wirklich bewegt. Darum behaupte ich: Ob dir das Wort gefällt oder nicht, seelengevögelt beschreibt eine mystische Erfahrung, nach der wir, bewusst oder unbewusst, alle streben, und zwar völlig unabhängig davon, ob wir an Gott glauben. Vielleicht benennst du dieser Zustand anders. Ich bin mir dennoch sicher, dass wir alle – egal ob Zyniker, Skeptikerin, Verbrecher oder Unschuldslamm, Wissenschaftlerin oder Esoteriker – uns in der Tiefe danach sehnen, dem Leben nackt, offen und unschuldig zu begegnen.

Oberflächlich betrachtet sieht es so aus, als hätten wir modernen Menschen das Leben im Griff. Wir benutzen hochentwickelte Techniken, spezialisierte Wissenschaften, routinierte Abläufe und ein obsessives Beschäftigtsein, um ein Gefühl der Kontrolle zu haben. Doch der Preis, den wir dafür zahlen, ist hoch. Wir wissen viel. Wir tun viel. Aber wir staunen nicht mehr. Staunen ist deine Fähigkeit, dem gegenwärtigen Moment mit einem unschuldigen, neugierigen, vorurteilsfreien Anfängergeist zu begegnen. Wer nicht staunt, spürt den Eros des Lebens nicht mehr unter seiner Haut brennen.

Eros … auch so ein wundervolles Botenwort.

Wir finden in den Nachschlagewerken drei Bedeutungen dazu:

Eros als der griechische Gott der Liebe.
Eros als der Drang nach Erkenntnis und schöpferischer geistiger Tätigkeit (nach Platon).
Eros als der Lebenstrieb im Gegensatz zur Todessehnsucht (nach Siegmund Freud).
Leben ist zutiefst erotisch.
Es will leben, es will lieben und es will erkennen.

Du wirst ganz natürlich seelengevögelt, wenn du das unsichtbare Ganzkörperkondom deiner Konzepte, deiner Kontrolle und deines Rechthabens abstreifst und dich vom Eros des Lebens befruchten, inspirieren und durchdringen lässt. Jetzt und hier zum Beispiel: Du kannst beim Lesen dieses Textes den besten Seelensex deines Lebens erfahren. Du kannst die Sätze auf dem Papier intellektuell verdauen. Dabei öffnest du die Schubladen deiner Vorstellungen und schaust, ob meine Aussagen irgendwo hineinpassen. Wenn nicht, werden sie passend gemacht oder wieder hinausgeschmissen. Das ist dann kein Seelensex, sondern Mindfuck.

Oder du lässt dich vom verborgenen GEIST der Worte finden und spürst dem nach, was nicht beschreibbar, aber erlebbar ist.
Ich bin mir sicher, dass DU ganz genau weißt, was Seelensex ist. Jeder von uns hat ihn schon gekostet und sucht unbewusst nach mehr davon. Im sexuellen Höhepunkt lösen sich die Grenzen zwischen den Liebenden auf. So auch beim Seelensex. Du erfährst keine Trennung mehr zwischen dir und dem Leben. Alles erfährt sich als eins. Du weißt nicht mehr, ob du vom Leben gevögelt wirst oder ob du das Leben vögelst. Du führst und wirst geführt. Du gibst dich hin und bist gleichzeitig sehr aktiv. Manchmal erfahren wir diesen Tanz als zart-still und dann wieder als wild-geil. Seelengevögelt kennt keine Moral und ist doch absolut rein.

Im Vorfeld der Veröffentlichung dieses Buches wurde ich oft gefragt, warum ich nicht einen etwas „netteren“ Titel wählen würde, zum Beispiel „Seelenfeuer“. Ja, ich gebe dir Recht. Das wäre netter. Doch ich möchte kein nettes Buch schreiben. Leben ist nicht nett. Das Mysterium offenbart sich nicht nur in schönen Verpackungen. Manchmal sind es gerade die düsteren, schockierenden, existentiell bedrohlichen Momente, die uns zur Hingabe zwingen.

Ich weiß nicht, in welcher Welt du lebst. Die Menschen, mit denen ich tagtäglich zu tun habe, erleben nicht nur Sternstunden. Sie verlieren geliebte Angehörige, ihre Unternehmen gehen Bankrott, sie bekommen Krebs. In solchen Augenblicken wollen wir keine oberflächlichen, rosa angehauchten Tröstungen hören. Wir suchen drängend nach Vertrauen in uns, um auch diesen Aspekt des Lebens aushalten und verstehen zu können. Paradoxerweise sind wir gerade in diesen dunklen Stunden dem Geheimnis besonders nah.

Im Juni 2011 erlebte ich bei einem Fallschirmsprung eine Bruchlandung. Mein vierter Lendenwirbel brach. Monatelang lebte ich mit einer Menge Titan im Körper. Das war kein nettes Rendezvous. Das war kein Blümchensex. Es war ein Crash mit der Erde und meinem Schicksal. Es war ein Soulfuck von der deftigen Sorte. Ich wünsche so etwas niemandem. Doch ich habe noch nie eine so innige Vereinigung mit dem Leben erfahren, wie in den Wochen nach meinem Aufprall.

Wirklicher, nackter Sex mit dem Leben – ohne den Schleier beruhigender Konzepte – ist nicht immer sanft. Manchmal ist er auch wild, zerstörend und vor allem immer unbegreiflich.
Wir finden den Höhepunkt unserer Hingabe in den Tiefpunkten unserer Verzweiflung, dem Feuer unseres Zorns, der Dunkelheit unserer Trauer genauso wie auf dem Gipfel unserer Siege. Erst, wenn wir bereit sind, dem Licht und dem Schatten vorbehaltlos gegenüberzutreten, werden wir das Leben wirklich verstehen. Nicht theoretisch, sondern seelengevögelt.

Ist es nicht das, was du willst?

Zum Buch geht es hier.