Die Welt rennt. Wir mit ihr. Doch wohin?
Weihnachten. Eine gute Zeit, anzuhalten, den Puls zu beruhigen. Den Blick zu heben. Raum für wesentliche Fragen. Raum für Lauschen. Empfangen.
An Festen wie Weihnachten scheiden sich die Geister. Für manche sind es religiöse Höhepunkte. Für andere die schönsten Tage des Jahres, verbunden mit glücklichen Kindheitserinnerungen, nährenden Ritualen. Die nächsten sind froh, wenn der Wahnsinn – Familienverpflichtungen, Geschenketerror, Einsamkeit – endlich wieder vorbei ist. Mich fasziniert Energie.
Energie macht wach. Energie bewegt. Aufmerksamkeit ist Energie. Egal, was jeder von uns mit Weihnachten verbindet – niemals sonst, außer vielleicht zu Silvester oder einer Fußball-WM – sind so viele Menschen weltweit mit denselben Themen beschäftigt. Es ist also viel Energie unterwegs.
Erregte kollektive Intelligenz. Können wir sie nutzen? Oder verpufft sie im Strudel der gesellschaftlichen Gewohnheiten – Kaufen, Kaufen, Fressen, Fressen?
Um Energie zu nutzen, braucht es einen Fokus. Eine Richtung, in die du sie lenken möchtest. Du richtest deinen Geist aus, in dem du ihm Fragen stellst.
Weihnachten ist eine gute Zeit für gute Fragen.
…und entspanntes Lauschen.
Die zwei Fragen, die ich mir in diesen Tagen stelle, lauten:
Habe ich genug geliebt?
Welches Licht in mir halte ich noch zurück?
Vorab: Ich bin kein Christ im religiösen Sinne. Ich wurde strikt atheistisch erzogen. Das hatte später einen unschätzbaren Vorteil. Ich konnte mich dem Mythos der christlichen Geschichte vorbehaltlos, unschuldig nähern. Ich nehme sie nicht wörtlich. Ich leiste mir den Luxus, die Elemente, die mich berühren, aufzunehmen und „meinen“ ganz persönlichen Jesus in mir entstehen zu lassen. Ich muss schmunzeln, wenn ich Menschen begegne, die allen Ernstes auf seine jungfräuliche Geburt bestehen. Ich verstehe es auch nicht. Sex ist etwas Wunderbares. Warum Maria nicht diese Freude gönnen? Im Katechismus würde ich kläglich versagen. 😉 Doch wenn du mich fragst, wer mein größtes Vorbild ist, fällt er mir ein. Ohne zu zögern. Jeshua.
Ein sanfter, radikaler Rebell. Ein brillanter Lehrer. Eine wilde und stille Seele.
Ist es wichtig, ob er gelebt hat? Nein. Eine Geschichte bewegt uns deshalb über Jahrtausende so stark, weil sie Part unserer eigenen geistigen DNA ist. Weil sie eben nicht von einem fremden Menschen erzählt, sondern von unserer Möglichkeit.
Vergiss die abstrusen Aspekte, die die Politik der Kirche diesem Mythos aufgehalst hat. Übrig bleibt eine wesentliche Botschaft. Kein übernatürliches Wesen, sondern ein Mensch – verletzbar, zweifelnd, komplex – wie wir. Er kannte die Dunkelheit und das Licht. Sinnbild einer Sehnsucht, die in jedem Herzen brennt. Jeshua war ein Liebender. Er verschenkte sich vollkommen. Er fand etwas in sich und wusste, dass wir es alle in uns tragen. Er sprach deshalb vom Königreich in uns, nicht in sich.
Warum fällt es uns so schwer, dies anzunehmen? Es genauso wörtlich zu verstehen, wie es gemeint war. Warum ist es so viel einfacher, ihn auf einen überirdischen Thron zu setzen oder an ein Kreuz zu nageln, anstatt ihn als Bruder und Herausforderung auf Augenhöhe zu akzeptieren?
Das Licht in einem anderen anzubeten, ist bequemer, als es in uns zu suchen.
Weißt du, was für mich das traurigste Missverständnis an der ganzen Geschichte ist? Das sogenannte „zweite Kommen“. Wie viele Milliarden Menschen haben seit zweitausend Jahren verzweifelt darauf gewartet, dass „er“ wieder kommt. So war das sicher nie gemeint. Das zweite Kommen sind wir. Wir kommen mehr hier an, wenn wir die Frage: „Habe ich bereits genug geliebt?“ persönlich nehmen.
Diese Frage, wenn man sich einmal auf sie einlässt, verfolgt einen. Sie taucht oft in mir hoch. Noch nie war die Antwort: „Ja.“
Das deprimiert mich nicht. Es fordert mich heraus. Meistens fallen mir sofort Situationen aus der nahen Vergangenheit ein, in denen Angst, Stress, Zeitdruck, Berechnung, Rechthaben… meinen Blick auf das Wesentliche verschleierten. Ich könnte für jede von ihnen eine rationale Erklärung finden. Doch mein Herz weiß es besser. Es weiß, dass ich hier bin, um mich vollkommen zu verschenken. Egal, was es kostet.
Denn am Ende zählt nicht, sicher überlebt, sondern so oft und so tief wie möglich geliebt zu haben.
Es gibt noch eine zweite, ältere Mythenebene dieser Tage – die Rückkehr des Lichts. Wintersonnenwende. Auch die kannst du eher sachlich betrachten oder persönlich nehmen.
Welches Licht meldet sich in dir zurück?
Wenn du dich nicht mehr zurückhalten würdest, was will aus dir heraus scheinen?
Wenn ich mir diese Fragen stelle und unzensiert Antworten in mir aufsteigen lasse – sind sie meistens bemerkenswert präzise, einfach und konsequent.
Ich liebe Weihnachten.
Für diese Klarheit.
Für die Liebe.
Für das Licht.
Für meine Liebsten.
Für das Schenken.
Und das leckere Essen. 😉
Frohe Weihnachten für dich!
In Verbundenheit, Veit